4.3.2 Umsetzung eines Service Centers in einer größeren Stadtverwaltung

Was gab den Anstoß / Welcher Zweck soll verfolgt werden?
Den Anstoß für die Einrichtung eines Call bzw. Service Centers gab das strategische Gesamtkonzept der Stadtverwaltung, dass mehr Bürgerfreundlichkeit und bessere Kontakte zum Bürger als vorrangige Zielsetzung definierte. Das Service Center sollte dabei als zentrales Instrument zur Verbesserung des Bürgerservices dienen und ein Aushängeschild für die Stadt sein.

Das Hauptziel des Service Centers ist mehr Bürgerfreundlichkeit. Aus Sicht des Bürgers sollen insbesondere
Weitere Ziele sind die zügigere Bearbeitung von Beschwerden sowie längere Öffnungszeiten der Kommune und Aufwandserleichterungen durch die Möglichkeit der Erledigung von Anfragen von daheim. Aus Sicht der Verwaltung geht es vorrangig um die Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit und die Entlastung von Sachbearbeitern (durch Mehrfachbelastungen). Darüber hinaus ist auch die Einführung von finanzieller Selbständigkeit und der damit verbundene Kostendruck ein relevanter Faktor. Es ist geplant die Serviceleistungen dieses Centers durch die Fachbereiche bezahlen und in Anspruch nehmen zu lassen.

Parallel zur Planung des Service Centers wurden verschiedene Ämter zusammengefasst mit dem Ziel im Stadthaus ein Dienstleistungszentrum mit ganzheitlicher Sachbearbeitung einzurichten und das Internetportal startete: die Stadt ist im Internet vertreten und über E-Mail erreichbar. Insgesamt soll mit diesen Maßnahmen die Erreichbarkeit verbessert werden.

Ende des Jahres 1999 wurde der zugehörige Ratsbeschluss zur Einrichtung des CC verabschiedet und Ende 2001 erfolgte schließlich die Inbetriebnahme. Das größte Hindernis bei der Planung und Umsetzung des Service Centers war die angespannte Haushaltslage, die Kürzungen im Budget erforderte. Die Dienstleistung wird den Fachämtern in Rechnung gestellt, die hierfür aber kein höheres Budget bekommen haben. Deshalb ist der Anspruch an die Qualität sehr hoch.

Bei der Planung des Service Centers wurde auf einen früheren Kontakt mit einer Unternehmensberatung zurückgegriffen. Die Planung ist mit hohem Aufwand durchgeführt worden. Zunächst erfolgte eine systematische Anrufanalyse (qualitativ und quantitativ) um das erwartbare Volumen bestimmen zu können. Ebenso wurden die Beschäftigten intensiv in den Planungsprozess einbezogen, indem Gesundheitszirkel und Qualitätszirkel in der Telefonzentrale durchgeführt wurden. Weiterhin erfolgten Informationsveranstaltungen für alle Fachabteilungen. Eine Bürgerbefragung wurde hingegen nicht durchgeführt, da das Service Center die Fachabteilungen als vorrangigen Kunden ansieht.

Es existiert ein Marketingkonzept, um das Service Center bekannt zu machen und ihm ein positives internes und externes Image zu verleihen. Im externen Marketingkonzept ist beispielsweise ein Rufnummernkonzept für Bürger integriert. Hier werden unterschiedliche Rufnummern angegeben, die dann alle zum Center geschaltet werden. Intern muss vor allem das Vertrauen der Ämter in das „Know-how“ der Agents gewonnen werden. Häufig herrscht dort die Meinung vor, ein Service Center Agent könne keine Dienstleistung ausführen, die in der Regeln bisher ein Sachbearbeiter erledigt hat. Der Prozess der internen Vertrauensbildung und Imageaufwertung ist noch nicht abgeschlossen und gilt als einer der vorrangigsten Aufgaben für die kommenden Monate.

Beschreibung der gewählten Organisationslösung
Das Service Center ist neben dem Internet und dem persönlichen Kontakt eins von drei Standbeinen der Bürgerdienste. 70-80% der Anrufe an die Fachbereiche sollen hier zukünftig abgefangen werden. Ziel ist die Einführung einer Einheitssachbearbeitung (Renten, Wohnen, KFZ, Einwohnermeldeamt), bei der eine Ansprechperson der Verwaltung alle Dienstleistungen erledigt. Bisher sind jedoch noch nicht alle Fachbereiche in den Prozess einbezogen worden. Der Datenschutz spielt eine große Rolle, da befürchtet wird, dass der Service Center Mitarbeiter sich ein komplettes Bild vom Bürger erstellen könnte. Da dies nicht geschehen darf, sind die Dienstleitungen eingeschränkt. Erbracht werden folgende Aufgaben: Vermittlung, Erreichbarkeits-auskünfte, zentrale und fachliche Auskünfte sowie zu einem zukünftigen Zeitpunkt auch Beschwerdenannahme.

Im Service Center arbeiten zurzeit knapp 50 Beschäftigte in drei Teams. Jedes Team verfügt über einen Teamleiter, der dem Service Center Leiter unterstellt ist. Die Hierarchie ist damit sehr flach.

Die Tätigkeit der Beschäftigten besteht bislang zu ca. 90% aus Telefonieren. Mit der geplanten Integration anderer Medien und zunehmender Dienstleistungstiefe soll dieser Anteil kontinuierlich reduziert werden und in höherem Umfang Mischarbeit ermöglicht werden.

Bei Inbetriebnahme des Service Centers wurden die Mitarbeiter aus der früheren Telefonzentrale übernommen. Die Tätigkeit im Service Center ist anspruchvoller als die Vermittlungstätigkeit und wird auch in Bezug auf das Gehalt höher bewertet. Es handelt sich um BAT VI b-Stellen (qualifizierte Sachbearbeitung bei der Auskunft). Bei neuen Mitarbeitern wird eine IHK-Ausbildung vorausgesetzt. Es wurde ein kleines Assessment Center durchgeführt, um das Telefonverhalten zu erfahren. Zu Beginn wurden umfangreiche Schulungen zu den Themen Kundenorientierung, Telefonkommunikation, fachliches Wissen, Konflikt- und Streßmanagement und Technik durchgeführt. Nachfolgend gibt es Auffrischungs- und themenbezogene Trainings. Darüber hinaus hospitieren die Mitarbeiter aus dem Service Center für mehrere Wochen in den jeweiligen Fachämtern, um einen vertieften Einblick in die dortigen Arbeitsabläufe und -inhalte zu erhalten. Wünschenswert von Seiten des Personalrats wäre ebenfalls Supervision (z. B. für Beschwerdemanagement).

Eine Heimarbeit wird derzeit vom Personalrat völlig abgelehnt, da diese Arbeitsform bar jeglicher Kontrolle ist. In Teilzeit arbeiten derzeit schon viele Frauen und vorstellbar ist auch alternierende Telearbeit, d. h. bis zu 50 % von zuhause an PC-online-Arbeitsplätzen. Als Aufstiegschance ist zunächst nach Bewährung der Teamleiterposten mit BAT V c vorgesehen. Die Chance hierauf ist aufgrund der flachen Hierarchie jedoch begrenzt. Grundsätzlich ist dafür der Angestelltenlehrgang 1 oder dessen Kurzform Pflicht. Alternativ zu dieser Verwaltungsvoraussetzung wurde noch ein Haustarifvertrag angelehnt an das BAT angedacht, bei dem keine derartigen Lehrgänge erforderlich wären und ein Wechsel in andere Tätigkeiten der Verwaltung nicht möglich wäre.

Die technische Ausstattung wird gut bewertet. Sie kann auf das bestehende System aufgesetzt werden und der Umgang ist bekannt. Neben der Telefontätigkeit sind Internet/E-Mail, Fax und Vordruckzusendungen zu bearbeiten. Für die Zukunft ist eine Weiterentwicklung in Richtung Integration des Service Centers mit dem Internet-Portal geplant. Die Grenzen sollen fließend sein. Außerdem soll ein Automatisches Informations System (AIS) durch die Fachbereiche entwickelt werden. E-Mail wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Momentan werden ungefähr 10 E-Mails pro Woche bei den Bürgerdiensten empfangen. Es wird daran gearbeitet, E-Mail und Internet stärker zu integrieren. Eine Ethernet-Vernetzung ist angestrebt. Ebenso ein Agenteninformationssystem in Form einer Wissensdatenbank auf Basis von Lotus Notes.

Auf die Ergonomie wurde viel Wert gelegt. Die Umgebungsgestaltung ist vorbildlich und insbesondere bestehen für ein Service Center ungewöhnlich viele Beeinflussungsmöglichkeiten (Licht, Heizung, zu öffnende Fenster). Es sollte den Mitarbeitern der größtmögliche Erfolg in bezug auf die Gesundheit gewährleistet werden. Viel Wert gelegt wurde dabei auf das Raumklima (Anpassung der Klimaanlage wegen starker Sonneneinstrahlung und individuellen Unterschieden im Empfinden der Mitarbeiter), Beleuchtungsaspekte und -wünsche, den Wechsel von Sitz- auf Steharbeitsplätze, die Stühle und die Anleitung im gesundheitsförderlichen Umgang damit. Ferner soll wegen der Rücken-, Nacken- und Augenproblematik demnächst statt zwei nur noch ein guter Bildschirm je Arbeitsplatz eingerichtet werden. Hervorzuheben ist der hohe Beteiligungsgrad der Mitarbeiter bei der Gestaltung: von der Stuhlauswahl bis zur Farbgestaltung hatten die Beschäftigten großes Mitspracherecht, was in hohem Maß zur Identifikation mit der Gestaltungslösung beigetragen hat.

Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren
Auf Basis persönlicher Gespräche mit Service Center Agenten, dem Service Center Leiter und dem Personalrat, sowie mehrerer Begehungen und einer Analyse der Arbeitsplätze mit Hilfe des Instrumentes Sigma-CC (vgl. Service Center Initiative der Ämter für Arbeitsschutz NRW) kristallisierten sich zusammengefasst folgende Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren heraus:

Erfolgsfaktoren
Misserfolgsfaktoren
Skepsis der Fachabteilungen in der Verwaltung: einerseits wird den Mitarbeitern des Service Centers eine kompetente Bearbeitung nicht zugetraut, andererseits wird der mögliche Kompetenzverlust in der eigenen Abteilung gefürchtet.
Bewertung / Empfehlung zur gesundheitsgerechten Umsetzung
Vorab ist positiv zu erwähnen, dass dem beschriebenen Beispiel-Service Center von der Stadt ausreichend Unterstützung entgegengebracht wurde. Sowohl aus organisatorischer als auch aus finanzieller Hinsicht wurde die Einführung vorangetrieben, so dass nicht, wie bei vergleichbaren Service Centern der öffentlichen Verwaltung, gravierende Zeitverzögerungen und ergebnisbeeinträchtigende Unsicherheiten bei der Planung und Einführung auftraten. Im Rahmen der Möglichkeiten eines Service Centers wurden deshalb sehr gute Arbeitsbedingungen insbesondere in punkto Ergonomie vorgefunden. Ebenso war die Erfahrung und Qualifikation der Service Center Leitung ein Garant für die erfolgreiche Einführung des Service Centers in die Verwaltung.

Letztendlich ist zusammenzufassen, das Rahmenbedingungen wie die sehr gute Ausstattung der Arbeitsplätze, die moderne Telefonanlage, das offene Datenbanksystem, die Unterstützung der Verwaltungsleitung, sowie das qualifizierte und motivierte Personal und auch die hohe Führungskompetenz der Service Center Leitung ausschlaggebend für den Erfolg sind.

Die Prozessqualität, d.h. die durchgängige Gestaltung des Dienstleistungsprozesses ist hingegen eine Schwachstelle. Die Herausforderung besteht in der Zusammenarbeit mit den Fachämtern. Die Schnittstellengestaltung muss optimiert werden. Weiterhin sind verstärkt Imagemaßnahmen durchzuführen. Es müssen aber auch die Tätigkeitsinhalte, wie Abwechslungsreichtum und Handlungsspielraum (auch als Folge des vorgenannten Punktes) kritisch bewerten werden. Verbunden mit den geringen Aufstiegsmöglichkeiten und der niedrigen Bezahlung stellt sich die Frage, inwieweit hier qualifiziertes Personal dauerhaft haltbar ist.

Claudia Brasse, Michael Böcker


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