4.3.3 Umsetzung eines Service Centers in einem kommunalen Versorgungsbetrieb

Was gab den Anstoß / welcher Zweck soll verfolgt werden?
Die Errichtung eines Service Centers beruhte auf der Initiative des Leiters der allgemeinen Verwaltung. Wegen immer wieder auftretender Beschwerden von Kunden hinsichtlich schlechter telefonischer Erreichbarkeit von Mitarbeiter/innen in den einzelnen Fachabteilungen wurde das „Projekt Call Center“ schnell auf den Weg gebracht. Eine externe Beratung fand durch eine Consulting Firma statt. Von der Planung zur Umsetzung dauerte es ein halbes Jahr. Der Call Center-Betrieb läuft seit April 2000.

Vor Einführung des Service Centers wurde über zwei Monate hinweg eine Verkehrsmessung der eingehenden Anrufe durchgeführt. Ausgewertet wurden die Zahl der Anrufe, die gewählten Rufnummern und die Themenfelder der Anrufe. Zusätzlich wurden unter Kunden und Mitarbeiter Befragungen durchgeführt, um weitere Informationen zu erhalten. Daraus resultierte die Zielsetzung, die telefonische Erreichbarkeit des Versorgungsbetriebs zu vereinfachen und zu verbessern. Verschiedene Service- und Zentralnummern, die im Telefonbuch abgedruckt waren, wurden zu einer zentralen Nummer bzw. zwei zusammengefasst. Durch die Abschaffung dieses „Telefonnummern-Salates“ braucht sich der Kunde nur noch zwei Service-Nummern zu merken.

Damit sollte einerseits die telefonische Erreichbarkeit verbessert, die Mitarbeiter in den Fachabteilungen aber entlastet werden. Die Aufgaben der Telefonzentrale wurden bis zur Einführung des Call Centers von der Pforte übernommen, die mit drei Personen besetzt war.

Verbunden mit der Errichtung eines Service Centers ist das Hauptziel, Modernisierungsprozesse in Gang zu bringen. Das bedeutet, dass Geschäftsprozesse vereinfacht und Aufgaben standardisiert und gleichzeitig Kosten reduziert werden.

Das Service Center dient der Umsetzung eines Kundenmanagementsystems, dessen Anforderungen auf die neuen Verhältnisse (mehr Konkurrenz) am Energiemarkt reagieren soll.

Kunden sollen zügig beraten, betreut und informiert, Anfragen und Störungen schnell bearbeitet werden. Möglich wird das durch den schnellen Zugriff der Service-Center-Mitarbeiter auf relevante Kundendaten, die in einer zentralen Kundendatenbank gespeichert sind. Ebenso sollte eine Basis zum Aufbau eines strukturierten Berichtswesens im Vertrieb geschaffen werden.

Durch Akquise sollen einerseits Neukunden gewonnen, andererseits abgewanderte Kunden zurückgewonnen werden.

Mit neuen Dienstleistungs- und Produktangeboten wird dem Kunden (Geschäfts- und Privatkunden) mehr Service geboten, z. B. Orientierungshilfen und Aufwandserleichterung für Kunden, die von zuhause Anfragen stellen und Erstellung von Individualangeboten. Durch die Erhöhung der Kundenzufriedenheit soll eine Kundenbindung erreicht und damit die Konkurrenzfähigkeit am Energiemarkt gestärkt werden.

Ergänzend wurde eine Kundenkarte eingeführt, mit der gewisse Zusatzleistungen verbunden sind; Auskünfte über diese Kundenkarte werden auch im Call Center bearbeitet. In Zusammenarbeit mit dem örtlichen Einzelhandel, Gewerbe und Dienstleistungsunternehmen soll dem Bürger der regionale Bezug zum Handel und Gewerbe ermöglicht werden. Zusätzlich erhofft man sich eine regionale Marktbelebung. Den Kunden des Versorgungsunternehmens werden Preisnachlässe und Sonderleistungen geboten. Mit dieser Kundenkarte erhalten Stromkunden bei vielen örtlichen Unternehmen Sonderkonditionen. Der „breite Pool von Leistungspartnern“ soll die Attraktivität des Energieversorgers erhöhen.

Beschreibung der gewählten Organisationslösung
Bei diesem Service Center eines kommunalen Versorgungsbetriebes handelt es sich um ein Inhouse Call Center. Es liegt unmittelbar neben dem Empfang.

Das Call Center ist gegliedert in einen First und einen Second Level. Die Tätigkeiten beinhalten sowohl Inbound (alle eingehenden Anrufe) als auch Outbound (Gespräche, die vom Call Center nach außen geführt werden, z. B. bei der Neukunden- bzw. Kundenrückgewinnung).

Im First-Level werden alle eingehenden Anrufe entgegengenommen. Über eine ACD(Automatische Anrufverteil)- Anlage, die in die vorhandene Telefonanlage des Betriebes integriert wurde, werden alle Anrufe auf die einzelnen Mitarbeiter, den Agents verteilt.

Der First und Second Level besteht aus 18 Mitarbeiter, die je zur Hälfte voll- bzw. teilzeitbeschäftigt sind. Hierbei handelt es sich um eine Festanstellung.

Einzelne Tätigkeiten wie z. B. Datenerfassung für die Kundenkarte üben auch studentische Hilfskräfte aus. Bis auf einen Mitarbeiter, der aus dem Versorgungsbetrieb (1200 Beschäftigte) ins Call Center hinüberwechselte, sind alle 18 Agents einschließlich dem Call Center-Leiter neu eingestellte Mitarbeiter. Die Altersstruktur bewegt sich zwischen 23 und 62 Jahren.

Zur Zeit wird eine Erweiterung des Call Centers um weitere vier Arbeitsplätze geplant, diese Erweiterung wurde von der Geschäftsleitung bereits genehmigt. Die Aufgaben und Kompetenzen der Agents wurden in einem Pflichtenheft ausführlich beschrieben, es regelt u. a. welche Auskünfte von den Agents gegeben werden können und welche Anfragen an die Fachabteilungen weitergeleitet werden müssen. Zur Unterstützung der Agents wurde eine Wissensdatenbank angelegt, die vom Leiter des Call Centers gepflegt und erweitert wird.

Alle Agents werden nach dem BAT entlohnt.

Geboten werden von montags bis freitags von 7-19 Uhr eine Energiehotline für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme; eine Verkehrshotline für Fahrplanauskünfte; allgemeine Vermittlungen, fachliche Auskünfte, Beschwerdenannahme und deren Bearbeitung und Durchführung von Befragungen.

Für die (Fahrplan-)Auskünfte steht noch eine NRW-landesweite Nahverkehrsrufnummer, unter der die Kunden die lokalen Servicezentralen zu deren „Besetztzeiten“ erreichen können, zur Verfügung. In der übrigen Zeit übernimmt ein anderes zentrales Call Center auch aus anderen Landesteilen die Verkehrshotline.

Zwei Telefonnummern für Störungsfälle existieren weiterhin parallel.

Tarifauskünfte z. B. werden direkt vom Agent im First Level bearbeitet. Anträge und detailliertere Anfragen werden entweder an den Second Level oder an die zuständige Fachabteilung, das Back-Office, weitergeleitet.

Bisher ist lediglich die Ablauforganisation mit der Energie-Vertriebsabteilung abgestimmt.

Um eine Ergebnisverantwortung in der Aufgabenbearbeitung sicherzustellen soll eine Erweiterung des Pflichtenheftes vereinbart werden, in dem es neben den Tätigkeiten und der Verantwortung für den First- und Second Level auch die Aufgaben und Zuständigkeiten der Fachabteilungen festschreibt.

Zu den 18 Agents gehört eine Supervisorin, die auch für die Personaleinsatzplanung zuständig ist. - Bei individuellen Wünschen können sich Agents in Einzelfällen untereinander absprechen. Die Supervisorin übernimmt bei Bedarf auch Second Level – Arbeiten. Sie ist in eine der Fachabteilungen hinübergewechselt. Zur Zeit wird ein neuer Supervisor gesucht.

Bevor das Call Center in Betrieb ging wurden die Mitarbeiter 4 Wochen lang auf ihre Arbeit vorbereitet. Trainiert wurden einerseits die so genannten Hard Skills wie fachliches Wissen (Produkt- bzw. Dienstleistungsschulung) und Kenntnisse über Hard- und Software. Andererseits die Soft Skills wie Gesprächsführung, Deeskalationsmethoden und Stressbewältigung. Die Soft Skills wurden und werden durch den Call Center Leiter trainiert. Technisches und fachliches Wissen wird von den Mitarbeiter des Second Level vermittelt, was auch unter dem Begriff Patenschaftsmodell bekannt ist. Die Agents werden regelmäßig und bei Bedarf nachgeschult.

Die Schulung für neue Mitarbeiter wurde mittlerweile auf 6 Wochen ausgedehnt.

In den Team-Meetings, die alle zwei bis drei Wochen stattfinden, können sich Mitarbeiter untereinander austauschen.

Karrieremöglichkeiten bestehen im Wechsel vom First Level in den Second Level und im Second Level Ernennung zum/zur Schulungsverantwortlichen und/oder Supervisor/in. Potenziell besteht die Möglichkeit Call-Center-Leiter zu werden, oder wie geschehen aus dem Call Center in eine Fachabteilung/Backoffice hinüberzuwechseln.

Bei der Einrichtung der Call-Center-Arbeitsplätze sind ergonomische Anforderungen stark berücksichtigt worden. Die Raumaufteilung ist großzügig gestaltet, die Umgebung ist freundlich mit Blumen hergerichtet. Die Außenwände des Call Centers bestehen aus Glas, sodass es einerseits sehr hell ist, andererseits die Agents einen freien Blick nach draußen haben.

Die Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes wird u.a. dadurch sichergestellt, dass die Betriebsärztin regelmäßig die Bereiche abgeht und bei gesundheitlichen Beschwerden Maßnahmen einleitet; ebenso ist ein Sicherheitsbeauftragter vorhanden, auch der Betriebsrat überprüft die Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Die Fluktuation ist relativ gering, wenn man Daten aus anderen Call Centern zugrunde legt. Bedingt durch die hohe Beanspruchung der Stimmbänder gibt es in Erkältungsperioden einen hohen Krankenstand.

Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren
Anhand der Auflistung von Erfolgs- und Misserfolgskriterien und den damit verbundenen Effekten werden nun sowohl negative als auch positive Faktoren, die es bei der Planung und Umsetzung eines Service Centers zu berücksichtigen gilt, veranschaulicht.

Misserfolgsfaktoren
  1. Fehlende Transparenz bei der Ernennung des Hauptverantwortlichen und Initiators des Call Centers (hier wurde der Leiter der allgemeinen Verwaltung dazu bestimmt) führten zu einem Unmut bei Leitern und deren Mitarbeiter anderer Abteilungen. Vielleicht hätten auch sie gern die Verantwortung für das Call Center übertragen bekommen oder zumindest in den Entscheidungsprozess involviert werden wollen.
  2. Mangelnde Informationen und Sensibilisierung über die Gründe, warum ein Call Center implementiert wird und die damit verbundenen Veränderungen der Arbeitsabläufe und den damit verbundenen Anforderungen an die Beschäftigten haben dazu geführt, dass ein Widerwillen gegen das „Neue“ gewachsen ist. Es sind Ängste um den eigenen Arbeitsplatz wegen der „billigen“ Konkurrenz (den Agents) entstanden. Daher resultiert das Akzeptanzproblem seitens der Fachabteilungen / Backoffice dem Call Center gegenüber.
  3. Bei der Planung waren nicht alle Interessengruppen beteiligt. Es ist versäumt worden, durch einen gemeinsamen Workshop, wo ein gemeinsames Zielsystem gemeinsam erarbeitet wird, die unterschiedlichen Interessengruppen ins Boot zu holen. Getroffene Entscheidungen wurden nicht mehrheitlich getragen. Das hatte die Entstehung von Kommunikationsproblemen zwischen dem Call Center und dem Backoffice zur Folge. Störungen im Ablauf der Auftragserfüllung sprich bei der Übergabe der Aufgabe des First Level an das Backoffice führten immer wieder zum Unmut von Kunden und demnach zur Belastung der Agents.
  4. Die Ergebnisverantwortung für die einzelnen Aufgaben wurden nicht festgeschrieben. Verantwortlichkeiten für die Erledigung einer Aufgabe sind einerseits nicht klar definiert - andererseits können/dürfen Agents aus dem First Level gewisse Aufgaben nicht erledigen, obwohl damit ein zeitnahes kundenorientiertes Ergebnis verbunden und die Mitarbeiter im Backoffice zusätzlich entlastet wären. Durch einen begrenzten Aufgabenzuschnitt fehlt den Agents die Möglichkeit zu einem höheren Gehalt. Der Effekt ist auf der einen Seite eine längere Auftragserledigung und eine stark begrenzte Aufgabenvielfalt der Agents im First Level; auf der anderen Seite sinkt dadurch die Motivation der Mitarbeiter im Call Center.
  5. Der Energieversorger wird zu 49% teilprivatisiert. Die Verhandlungen mit möglichen Geschäftspartnern laufen noch. Die Auswirkungen auf Struktur, welche Abteilung einmal wohin gehören wird (einschließlich Call Center) usw. sind noch nicht absehbar bzw. öffentlich. Dieser Schwebezustand erzeugt bei Leiter und Mitarbeiter große Unsicherheit. In Bezug auf das Call Center bedeutet dies, die fehlende Akzeptanz als begründet anzusehen, eventuell wird outgesourct. Die Motivation bei Mitarbeiter sowohl in den Fachabteilungen als auch im Call Center ist demzufolge gering. Darüber hinaus entstehen Ängste gegenüber Änderungen einzelner Arbeitsabläufe aber auch hinsichtlich der mit der Teilprivatisierung einhergehenden Schwerpunktlegung auf betriebswirtschaftliche Aspekte.
  6. Die fehlende Qualifizierung der Mitarbeiter in den Fachabteilungen, dem Backoffice, in Telefontraining, Konfliktbewältigung in der telefonischen Gesprächsführung und die fehlende Erkenntnis darüber, dass der Betrieb Produkte anbietet und Dienstleistungen erbringt führt dazu, dass Kundenkontakte eher als Störung in der „normalen“ Arbeit betrachtet werden.
  7. Durch die stark arbeitsteilige Organisationsform ist die Tätigkeit monoton und wenig abwechselungsreich. Das Arbeitstempo wird sehr stark durch die ACD-Anlage und der Aufgabenzuschnitt sehr stark durch das Pflichtenheft bestimmt. Demzufolge empfinden die Mitarbeiter ihren Arbeitsbereich als sehr kontrolliert und fremdgesteuert. Daraus entstehen wiederum psychische Beanspruchungen.
  8. Ein großes Problem stellt die Umstellung auf ein neues Abrechnungssystems und die mangelnde Unterstützung durch den Systemanbieter dar. Die Verantwortung für die technische Ausrüstung liegt voll bei einer Tochter des Energieversorgers. Mangelnde Zusammenarbeit und Abstimmung führt dazu, dass letztendlich das Call Center mit diesem Problem „allein“ dasteht.
Fehlerhafte Rechnungen werden voraussichtlich noch bis zum Ende dieses Jahres verschickt werden. Aufgrund dessen sind Kunden über fehlerhafte Rechnungen verärgert; die Agents stehen diesem Problem relativ machtlos gegenüber. Sie können Kunden lediglich vertrösten. Die zahlreichen Kundenbeschwerden über die fehlerhaften Rechnungen führen zu einer Arbeitsüberlastung im Call Center. Um diese Anrufe ausreichend bearbeiten zu können wären ca. weitere 8 Mitarbeiter notwendig.

Erfolgsfaktoren
  1. Der Inbetriebnahme des Call Centers ist eine umfangreiche Planung vorausgegangen. Neben Aspekten wie z. B. Technik, Arbeitsumgebung, Arbeitsplatzgestaltung, Hard- und Software-Ergonomie fanden auch Fragen zu Personal und dessen Qualifizierung Berücksichtigung. Durchgeführt wurden auch eine Verkehrsmessung sowie eine Kunden- und Mitarbeiterbefragung. Den Auswertungen der Messungen zufolge konnten die Öffnungszeiten und die Personaleinsatzplanung mit den Kundenbedürfnissen abgestimmt werden. Darüber hinaus führte die umfangreiche Planung zur punktgenauen Inbetriebnahme des Call Centers.
  2. Die Erstellung eines umfangreichen Pflichtenheftes für die Agents führten mit Beginn des Call Center-Betriebes zu einer reibungslosen Aufgabenerledigung innerhalb des Call Centers (Diese Planungen betrafen aber leider nur das Call Center und nicht die Schnittstellen zum restlichen Betrieb, mit Ausnahme des Vertriebs). Bestehen bleiben Probleme zwischen dem First Level und dem Backoffice.
  3. Der Vorteil bei der Inhouse-Lösung liegt in der räumlichen Nähe des Call Centers zu den Fachabteilungen/Back-Office. Es kommt oftmals zu persönlichen Kontakten von Agents im First Level und den Mitarbeiter im Back-Office. Durch kurze Wege kann der Informationstransfer schneller vonstatten gehen. (Bedingung: Die vorherige Schaffung von Akzeptanz hinsichtlich der neuen organsiatorischen Einheit) Denn oft sind es gerade die informellen Kontakte, die eine reibungslose Zusammenarbeit ermöglichen.
  4. Der Vorteil bei der Inhouse-Lösung liegt in der räumlichen Nähe des Call Centers zu den Fachabteilungen/Backoffice. Es kommt oftmals zu persönlichen Kontakten von Agents im First Level und den Mitarbeiter im Backoffice. Durch kurze Wege kann der Informationstransfer schneller vonstatten gehen. (Bedingung: Die vorherige Schaffung von Akzeptanz hinsichtlich der neuen organsiatorischen Einheit) Denn oft sind es gerade die informellen Kontakte, die eine reibungslose Zusammenarbeit ermöglichen.
  5. Ein gemeinsames Frühstück für Mitarbeiter aus dem Call Center und dem Backoffice kann den Willen zur Zusammenarbeit und demzufolge einen störungsfreien Arbeitsablauf fördern. Wichtig hierbei ist der Aspekt, die sozialen und informellen Kontakte zu fördern, die einen wesentlichen Beitrag für ein gutes Betriebsklima schaffen. (Allerdings muss hier angemerkt werden, dass mangelnde Sensibilisierungsarbeit die Ursache für die Störungen in der Zusammenarbeit von Call Center und Backoffice sind. Leider war das Kind schon in den Brunnen gefallen).
  6. Geplant ist ein Job Rotation, ein befristetes Praktika für Agents, die für eine bestimmte Zeit in eine Fachabteilung hinüberwechseln. Umgekehrt sollen Backoffice-Mitarbeiter befristet ins Call Center arbeiten. Das Ziel ist es, die Arbeit interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten. Hinsichtlich des Schnittstellenproblems können Mitarbeiter aus dem Call Center und den Fachabteilungen mehr Verständnis für die Arbeitszusammenhänge des anderen entwickeln. Ein weiterer positiver Effekt ist die erhöhte Motivation.
  7. Eine angedachte Projektarbeit, wo Mitarbeiter aus dem Call Center und dem zwar dezentral, aber gemeinsam eine Aufgabe bzw. einen Antrag bearbeiten. Die positiven Effekte sind die gleichen wie bei Punkt 5).
  8. Die Möglichkeit für Agents auch unbefristet in einzelne Fachabteilungen hinüberwechseln zu können stellt ebenfalls einen Motivationsanreiz dar. Der Wechsel in eine Fachabteilung bedeutet meistens eine Karrierechance, die neben dem immateriellen Anreiz einer Aufgabenbereicherung auch den materiellen Anreiz einer Höhergruppierung beinhaltet. Das wiederum erhöht die Motivation in besonderem Maße.
  9. Die umfangreiche fachliche Einarbeitung der Agents ist eine gute Voraussetzung zur Erbringung einer qualitativ guten Dienstleistung. Das Trainieren der sogenannten Soft Factors ist bei der erforderlichen Emotionsarbeit, die Call Center- Agents leisten müssen, ein wertvolles Hilfsmittel, psychische Belastungen abzumildern.
  10. Das Ambiente des Raumes (viele Pflanzen) und die ungehinderte Sicht nach draußen schaffen eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Abwechselungsreiches Essen in der Kantine und die Möglichkeit zu gemeinsamen sportlichen Aktivitäten in den Pausen und nach Arbeitsende sind ein gutes Anreizsystem zur Erhöhung der Mitarbeiter-Motivation.
  11. Ergonomische Aspekte sind bei der Einrichtung nach neusten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen berücksichtigt worden. Dadurch werden sowohl körperliche als auch psychische Belastungen reduziert.
Bewertung / Empfehlung zur gesundheitsgerechten Umsetzung
Bei der nun folgenden Bewertung stellt sich die Frage, welche Faktoren für die Schaffung von gesundheitsförderlichen Rahmenbedingungen erforderlich sind.

In diesem Beispiel ist zu bemerken, dass es hinsichtlich Hardware-Ergonomie und Arbeitsplatzgestaltung keine nennenswerten Auffälligkeiten gibt. Dieser Bereich entspricht ergonomisch den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bei der Arbeitsumgebung entzerrt die ausreichende Flächenzuweisung das Problem des Lärms, welcher in einem Großraumbüro vorhanden ist.

Allerdings ergibt sich ein Handlungsbedarf hinsichtlich der Beleuchtung. Da das Call Center quasi aus Glas besteht, spiegelt sich das Tageslicht auf den Bildschirmen wider. Ausreichende Abdunkelungsvorrichtungen an den Scheiben können dieses Problem verringern.

Als ein Problem stellt sich auch die Software-Ergonomie heraus. Um psychische Fehlbeanspruchungen zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Dialoggestaltung hinsichtlich Selbstbeschreibungsfähigkeit, Steuerbarkeit und Fehlertoleranz zu modifizieren.

An dieser Stelle soll auf Beanspruchungen und einige Belastungen eingegangen werden, die aus der Arbeitsorganisation bzw. Arbeitsaufgabe resultieren.

Für die Mitarbeiter besteht ein sehr eingeschränkter Handlungsspielraum hinsichtlich Reihenfolge, Arbeitstempo und Vorgehensweise bei der Aufgabenerledigung. Die Bindung an vorgegebene Abläufe, Monotonie und fehlende Autonomie bezüglich der Wahl des Kommunikationssystems und somit der Grad der Abhängigkeit von dem System empfinden die Mitarbeiter/innen als sehr belastend.

Hier könnte eine Verbesserung der Ablauforganisation sinnvoll sein. Durch Job-Enlargement, Job-Enrichment oder Job-Rotation kann die Arbeit interessanter gestaltet werden und damit können psychische Fehlbeanspruchungen verringert werden. Gedacht werden könnte auch an eine neue Arbeitsorganisationsform wie teilautonome Gruppenarbeit, um in der Verantwortung des Teams liegende Aufgaben ganzheitlich und entwicklungsförderlich zu gestalten. Zur Verbesserung bezüglich der Abwechslung bei der Arbeit könnten auch (gerade im Hinblick auf ein multimediales Service Center) die Integration von E-Mail- und Internetanfragen-Bearbeitung beitragen.

Weitere Belastungen der Mitarbeiter im Call Center sind (und dauern noch an) durch die Einführung des Euro und die problematische Umstellung auf ein neues Abrechnungssystem entstanden – Entsendung von fehlerhaften Rechnungen -. Das bedingt ein erhöhtes Anrufvolumen. Entzerrt wurde das Problem dadurch, dass Kunden gebeten wurden, möglichst Anrufzeiten zwischen 7.00 und 8.00 Uhr morgens oder am frühen Abend zwischen 16.00 und 19.00 Uhr zu nutzen. Die Ursache scheint aber in der fehlenden Unterstützung durch das Tochterunternehmen, welches für den technischen Support zuständig ist, zu liegen. Vielleicht wurde es versäumt, beim Anbieter des technischen Systems einen ausreichenden Hilfe-Service bei Systemerweiterungen bzw. -umstellungen vertraglich festzulegen.

Hinsichtlich der Entlohnung kann gesagt werden, dass der BAT wenig Handlungsspielraum bietet. Zudem sind die Mitarbeiter des Call Centers im BAT ziemlich weit unten angesiedelt. Der Anspruch auf ein besseres Entgelt könnte durch einen erweiterten Aufgabenzuschnitt und damit eine Höhergruppierung realisiert werden.

Als ein zentrales Problem bei diesem Versorgungsunternehmen stellten sich die Schnittstellen zwischen Call Center und Fachabteilungen heraus. Die Kommunikationsstrukturen sind erheblich eingeschränkt und gestört. Durch umfangreiche Informations- und Sensibilisierungsarbeit und Einbindung aller Interessengruppen während der Planungsphase, größtmögliche Transparenz bei Entscheidungen, hätten Vorbehalte ausgeräumt und Konflikte vermieden werden können. Das hat in besonderem Maße psychische Belastungen bei den Mitarbeiter im Call Center zur Folge. Diese fühlen sich von den Kollegen der Fachabteilungen in ihrer Arbeit nicht akzeptiert.

Das umfangreiche Pflichtenheft bietet eine gute Orientierung für die Aufgabenerledigung bzw. -weiterleitung im Call Center. Die strikte Arbeitsteilung führt aber auch manchmal dazu, dass Anträge oder Anfragen viel zügiger bearbeitet werden könnten, wenn den Agents eine größerer Aufgabenzuschnitt zugebilligt würde.

Die Ablauforganisation ist leider nur mit der Vertriebsabteilung abgestimmt, sodass es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Call Center und anderen Fachabteilungen kommt, weil letztere die Aufträge aus dem Call Center nicht zügig bearbeiten und sich die Kunden deswegen immer wieder beschweren.

Im Nachhinein kann durch einzelne Maßnahmen wie z. B. Durchführung eines gemeinsamen Workshop mit Mitarbeiter aus dem Call Center und den Fachabteilungen unter der Leitung eines externen Moderators, verbessertes Informationsmanagement und „wechselseitige Praktika“ der Versuch unternommen werden, durch Austausch der verschiedenen Sichten aus einzelnen Arbeitszusammenhängen heraus Verständnis für die Arbeit des anderen zu entwickeln.

Psychische Beanspruchungen, bedingt durch die zu leistende Emotionsarbeit z. B. bei „schwierigen“ Kunden, können zwar nicht vermieden werden. Jedoch wird hier durch das Trainieren von Stressbewältigungsmethoden versucht, den Grad zu verringern. Es finden regelmäßig und bei konkreten Bedarfen Schulungen hinsichtlich der erwähnten Problematik statt. Das ist sehr positiv zu bewerten.

Das geplante Ziel einer verbesserten Erreichbarkeit des Versorgungsbetriebes konnte nicht im gewünschten Maße erreicht werden, da die Zahl der Anrufe, auch auf Grund von verschiedenen Werbemaßnahmen, stark zugenommen hat. Es können zwar deutlich mehr Kundenanfragen als früher bearbeitet werden, zugleich nutzen aber auch mehr Kunden die verbesserten Auskunftsmöglichkeiten. Die erhoffte Entlastung der Mitarbeiter der Fachabteilungen muss auch bezweifelt werden, da nun mehr Anrufe durchgestellt werden können, die früher in der Warteschleife hängen blieben. Eine Verbesserung des Services für den Kunden konnte erreicht werden, ein weiterer Ausbau des Call Centers sowie der Dienstleistungen des Backoffice erscheint aber notwendig, um die geweckten Erwartungen auch in Zukunft befriedigen zu können.

Reinhild Reska, Rainer Dörr, Leo Kronenfeld


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