4.1.4 Psychische Fehlbeanspruchungen verringern!

Die Arbeitsbedingungen in Service-Center-Einrichtungen unterscheiden sich zum Teil von den Bedingungen in traditionellen Büros und anderen öffentlichen Verwaltungseinrichtungen. Auch im Rahmen der Ver-T-iCall-Prozess-begleitungen in Service Centern der öffentlichen Verwaltung konnten teilweise psychische Fehlbeanspruchungen festgestellt werden. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden einige Schlaglichter, die sich in diesem Bereich für öffentliche Institutionen ergeben im Zusammenhang behandelt. Dabei ist eine gewisse Redundanz zu anderen Kapiteln unvermeidlich, da dieses Thema komplex mit vielen Planungs- und Organisationsprozessen von Arbeit in Service Centern verwoben ist.

Psychische Belastungen treten auf, wenn aufgrund organisatorischer, aufgabenbedingter und technischer Bedingungen das Arbeitshandeln erschwert, beeinträchtigt oder sogar blockiert wird.

Zu diesen Belastungsfaktoren zählen vor allen Dingen geringe Handlungsspielräume, monotone Arbeitsabläufe sowie das ständige "Lächeln in der Stimme" (sogenannte Emotionsarbeit) selbst bei schwierigen Gesprächspartnern.

Die genannten Faktoren führen häufig zu Beanspruchungen wie Stress, Konzentrationsstörungen sowie psychosomatischen Beschwerden bzw. Erkrankungen.

In den folgenden Abschnitten wird besonders auf die Bedeutung von „Emotionsarbeit“ sowie eines geringen „Entscheidungs- und Handlungsspielraums“ in Service Centern der öffentlichen Verwaltung eingegangen, da sich diese Bereiche psychischer Belastungen sowohl in gewerblichen Call Centern (vgl. Zapf & Isic, 1999) als auch in den Ver-T-iCall-Untersuchungen als auffallende Faktoren herausgestellt haben. Im Vordergrund stehen im Folgenden hauptsächlich Gestaltungsmaßnahmen, welche die auftretenden Beanspruchungen verringern sollen.

4.1.4.1 Bewältigung von Emotionsarbeit und Berücksichtigung eines adäquaten Handlungsspielraumes
Der Begriff „Emotionsarbeit“ ist definiert als: die bezahlte Arbeit, bei der ein Management der eigenen Gefühle erforderlich ist, um nach außen ein bestimmtes Gefühl zum Ausdruck zu bringen, unabhängig davon, ob dies mit den inneren Empfindungen übereinstimmt (Hochschild, 1990). Gerade im Dienstleistungsbereich werden vermehrt angemessene Emotionen im Sinne der Kundenorientierung gezielt eingesetzt bzw. erwartet und das Zeigen von Emotionen durch betriebliche Normen festgelegt. Dadurch wird der aktive Umgang mit Emotionen zu einer Arbeitsanforderung. Der Betroffene soll seine Emotionen regulieren und kontrollieren, die des Interaktionspartners beeinflussen und die von Bürgern (Sensitivitätsanforderungen) wahrnehmen.

Probleme für die Organisation der Emotionsarbeit ergeben sich daraus, dass die emotionalen Anforderungen je nach Dienstleistung, Bürgererwartung und Situation variieren und sich durch individuelle Eigenleistung der Beschäftigten auszeichnen, die kaum standardisierbar sind. Emotionsarbeit erfordert Gestaltungsfreiheit, weil für möglichst authentisches Verhalten Autonomie (weitgehende Unabhängigkeit in der Ausführung einer Tätigkeit) erforderlich ist.

Im Bereich des öffentlichen Dienstes dagegen ist der Anspruch auf kundenorientierte Dienstleistung und „personen-bezogene Arbeit“, die darauf abzielt die Bürger zufrieden zu stellen, vergleichsweise neu.

Wie in sonstigen Dienstleistungsbereichen gibt es auch im öffentlichen Dienst festgelegte Vorgaben, Gesetze und Verwaltungsvorschriften, wie Anträge und Anfragen die zu bearbeiten sind. Dem Beschäftigten im öffentlichen Dienst bleibt jedoch ein größerer Handlungsspielraum, die Interaktion mit den Gesprächspartnern zu gestalten. Durch das Fehlen fester Vorgaben für den Gesprächsverlauf hat sich im öffentlichen Dienst eine andere Bewältigungsstrategie entwickelt, um mit der heterogenen Interaktion mit wechselnden Kunden umzugehen und Gefühle zu kontrollieren. Das Auftreten der Verwaltungsangestellten ist meist sehr sachlich und autoritär. Sie vermitteln ihrem Interaktionspartner, dass sie über Fachwissen in diesem Bereich verfügen und dieser auf sie angewiesen ist. Dadurch haben die Beschäftigten die Möglichkeit, den Kundenkontakt zu kontrollieren und ihre Emotionen heraus zu halten.

Im Gegensatz zum privatwirtschaftlichen Dienstleistungsbereich besteht kein Statusgefälle zwischen Angestelltem und Gesprächspartner. Das dieses autoritäre Verhalten möglich ist und von den Kunden respektiert wird, ist durch bestimmte Rahmenbedingungen zu erklären. Zum einen gibt es im öffentlichen Dienst wenig Konkurrenzdruck um Kunden. Die Behörden haben klare Zuständigkeiten, und der Kunde hat keine Alternativen. Zum anderen sind bisherige Behörden häufig so strukturiert, dass ein bestimmter Verwaltungsangestellter für eine Person zuständig ist (beispielsweise Einwohnermeldeamt oder BAFÖG-Amt), so dass ein langfristigeres Verhältnis entstehen kann und der Bürger von sich aus prinzipiell an einer positiven Beziehung interessiert ist. Diese bisherigen Interaktionsstrukturen werden durch die Einführung von bürgerorientierten Service-Center-Strukturen jedoch "auf den Kopf gestellt". Neue und veränderte Herausforderungen an die Beschäftigten, die bislang z.B. als Telefonisten oder Sachbearbeiter beschäftigt waren und in Service Center eingesetzt werden sollen, müssen daher berücksichtigt und bei der Arbeitsgestaltung berücksichtigt werden (vgl. Kapitel 3.4.2.2 Betrieb eines Service Centers).

Für öffentliche Verwaltungen bestehen bisher vor allem Unklarheiten über geeignete Führungs- und Organisationskonzepte von Service Centern (Qualifizierung der Mitarbeiter, Arbeitsgestaltungsmaßnahmen), während die Arbeitnehmer über unterschiedliche Probleme in Bezug auf die Arbeitsbelastungen (Zeitdruck, Überforderung, negative Rückmeldungen von Bürgern, kurzzyklische Tätigkeiten, mangelnden Handlungs- bzw. Entscheidungsspielraum) berichten.

Der „Handlungs- und Entscheidungsspielraum“ ist durch den Grad der eigenverantwortlichen Planung und Organisation der Agenten bei der Durchführung ihrer Arbeitsaufgaben gekennzeichnet.

Beispielsweise ist für Agenten in ServiceCentern der öffentlichen Verwaltung, die sich ausschließlich mit Routineanfragen (vgl. Kapitel 3.4.2.1 Aufbau eines Service Centers) von Bürgern beschäftigen der „Handlungs- und Entscheidungsspielraum“ begrenzt. Die Aufgabe der Beschäftigten ist es lediglich Anrufe entgegen zu nehmen und die Adresse des Bürgers und seiner Anfragen in eine wörtlich vorgegebene Eingabemaske eines Computers einzugeben. Dabei ist der Gesprächsverlauf oft eng mit der eingesetzten EDV-Software verwoben, so dass der Kommunikationsspielraum zwischen Agenten und Bürger durch die starre Abfolge der betrieblich vorgegebenen Eingabemasken des EDV-Systems weitgehend eingeschränkt bleibt.

Sind die Befugnisse der Agenten derart eingeschränkt, dass es zu Beeinträchtigungen und Störungen im Arbeits- sowie Kommunikationsprozess (mit dem Bürger oder auch mit Kollegen) und in der Folge zu Schwierigkeiten bei der Aufgabenerledigung kommt, ist dringender Handlungsbedarf vorhanden.

4.1.4.2 Gestaltungsmaßnahmen zur Verringerung bzw. Prävention von Fehlbeanspruchungen

Dienstleistungen und Dienstleistungsverhältnis definieren
Wichtig dabei ist, dass entsprechende Zielvorstellungen von Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung zunächst und grundsätzlich festgelegt sowie geklärt werden müssten. Vor allen Dingen ist die Frage nach der Art und Weise der zu erbringenden Servicequalität zu erörtern. Hierzu sollten im Rahmen von Teamsitzungen alle Mitarbeiter, insbesondere diejenigen aus dem Front-Officebereich mit einbezogen werden. Den Angestellten sollte in einem derartigen Rahmen besonders die Notwendigkeit der Emotionsregulation je nach auszuführende Tätigkeit in Abhängigkeit des geplanten Dienstleistungsangebotes (vgl. Kapitel 3.4.2.2 Betrieb eines Service Centers) deutlich gemacht und Strategien vorgestellt werden mit dieser umzugehen. Ferner sollten positive und negative Auswirkungen des "personen-bezogenen Arbeitens" aufgezeigt werden (beispielsweise der angemessene Umgang mit Beschwerden).

Handlungsspielräume und angemessene Arbeitsgestaltung ermöglichen
Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass Tätigkeiten in Call Centern mit besonders belastenden Faktoren verbunden sind und dass in diesem Bereich das Zeigen von vorgegebenen und regulierten Emotionen aufgrund der Rahmenbedingungen mit besonders negativen Auswirkungen verbunden ist. Wissenschaftliche Studien des gewerblichen Bereichs belegen, dass Mitarbeiter von Call Centern unter deutlich mehr psychosomatischen Beschwerden leiden, als Angestellte in anderen Arbeitsbereichen (vgl. Isic, Dormann, Zapf, 1999). Dies ist vor allem auf den besonders geringen „Entscheidungs- und Handlungsspielraum“ der Call-Center-Agentinnen und Agenten zurückzuführen. Fehlende Handlungsspielräume führen bei mit Emotionsarbeit verbundenen Tätigkeiten zu vermehrtem Stress und emotionaler Dissonanz. Die Call-Center- Agenten haben nur wenig Möglichkeiten die Wirkungen von Stressoren abzufedern und es fehlen ihnen die Mittel und Wege Belastungen abzubauen oder zu verteilen.

Bei der Einrichtung öffentlicher Service Center oder bei der Umstrukturierung sollte folglich darauf geachtet werden, dass hinreichende „Entscheidungs- und Handlungsspielräume“ geschaffen werden. Die Mitbestimmung und Autonomie der Beschäftigten im Arbeitsprozess sollte verbessert und durch Schulungen entsprechende Kompetenzen vermittelt werden, so dass sie keine strikte Vorgabe des Gesprächsverlaufs erhalten, sondern eine klare Zielvorgabe für die Aufgabenbearbeitung und dass sie bei der individuellen Umsetzung durch hinreichende Handlungsspielräume Emotionen zeigen können (vgl. Kapitel 3.4.2.2 Betrieb eines Service Centers).

Zusätzlich zu mehr Handlungsspielraum sollten auch angemessenere Zeitspielräume geschaffen werden, so dass dem Agenten mehr Zeit für die Nachbearbeitung und emotionale Verarbeitung von Gesprächen zur Verfügung steht. Sinnvoll ist es hierbei beispielsweise auch, Front-Office- und Back-Office- oder auftragsvorbereitende und –nachbereitende Tätigkeiten zu variieren. In diesem Falle würden beispielsweise Bürgeranfragen oder Anträge in öffentlichen Verwaltungen nicht an die Abteilung XY weitergeleitet werden, sondern vom Agenten selbst weiter bearbeitet werden.

Um die einseitige Belastung durch reine Telefonarbeit zu verringern, sollten Arbeitszeitmodelle mit unterschiedlichen Tätigkeiten angeboten werden, beispielsweise Telefondienst gekoppelt mit Sachbearbeitertätigkeiten. Auch sollten extreme Arbeitsteilungen aufgehoben werden, so dass die Beschäftigten die Möglichkeit haben einen Auftrag ganzheitlich zu bearbeiten (vgl. auch Kapitel 3.4.2.2 Betrieb eines Service Centers).

Durch die Umstellung auf längere Betriebszeiten und die damit verbundene Einführung von Schichtarbeit tauchen zusätzliche Probleme für die an feste Arbeitszeiten gewöhnten Verwaltungsangestellten auf. Auch hier wäre es ratsam das neue Modell vorab ausführlich vorzustellen und dies mit Personalbeteiligung zu organisieren und einzuführen (vgl. dazu auch Kapitel 3.4.2.1 Aufbau eines Service Centers, welches einen intensiven Zusammenhang zu diesem Bereich aufweist).

Bei Personalauswahl auf entsprechende Fähigkeiten achten
Um Beanspruchungen vorzubeugen sollte bei der Personalauswahl schon auf die, für die anfallenden Tätigkeiten notwendigen persönlichen Voraussetzungen, z. B. mit Hilfe eines Assessment Centers geachtet werden. Dies gilt sowohl für Neueinstellungen als auch für die Neubesetzung durch Verwaltungsangestellte.

Bisher sind folgende für die Tätigkeiten mit Emotions- bzw. Kommunikationsarbeit notwendige Kompetenzen und Fähigkeiten bekannt, über die die potentiellen Service Center Beschäftigten verfügen sollten:
Qualifizierungen, Trainings, Supervisionen etc. (zur Prävention)
Zur Vorbeugung von Stress sowie körperlicher und psychischer Fehlbeanspruchung ist es sinnvoll, die zukünftigen Service Center Beschäftigten vorab und begleitend zu qualifizieren (vgl. dazu auch Kapitel 4.1.2.1 Hemmnisfaktoren für Veränderungsbereitschaft im öffentlichen Dienst und Kapitel 4.1.2.2 Geeignete Maßnahmen zur Umsetzung von Veränderungsvorhaben). Die Qualifizierung sollte sich auf die fachlichen Anforderungen, den technischen Umgang mit den Kommunikationsgeräten sowie den entsprechenden Kommunikationsstrategien beziehen. Neben der Qualifizierung und des praxisbezogenen Trainings sollten den Beschäftigten auch die Möglichkeiten angeboten werden, Stressbewältigungsverfahren und Entspannungsverfahren zu erlernen, so dass die Beschäftigten in der Lage sind besser mit emotionaler Beanspruchung und Belastung umzugehen und somit präventiv emotionaler Erschöpfung vorgebeugt wird.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einführung von Supervisionsgruppen. Durch den Austausch unter den Mitarbeitern haben die Beschäftigten die Möglichkeit, ähnlich wie die Verwaltungsangestellten in kleinen Büroeinheiten Stress und Belastungen besser zu verarbeiten und sich auch eine eigene “Kultur” zu schaffen. Außerdem bieten diese Gesprächs- und Arbeitsgruppen die Möglichkeit, Fehlerquellen aufzudecken und diese entweder gemeinsam zu bearbeiten, oder an Vorgesetzte weiterzuleiten. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass eine erhöhte Arbeitszufriedenheit entsteht, wenn die Beschäftigten sich nicht isoliert und abgegrenzt fühlen. Gerade in Tätigkeitsbereichen, die in großem Ausmaß mit Kommunikation und Personenkontakt verbunden sind, sind derartige Austauschmöglichkeiten geeignet. Die Kooperation und Kommunikation wird positiv gefördert. Dies sollte bei der räumlichen Planung der Service Center berücksichtigt werden z.B. durch ausreichende Sozialräume, durch die Anordnung der Arbeitsplätze etc.

Literatur

Isic, A., Dormann, C., & Zapf, D. (1999): Belastungen und Ressourcen an Call-Center-Arbeitsplätzen. In: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 53, 202-208

Hochschild, A. (1990): Das gekaufte Herz: Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt/M.: Campus

Nora Löbbecke, Roman Trensch, Kai Seiler, Rainer Tielsch


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