3.1 Service Center für die öffentiche Verwaltung

Inhaltsverzeichnis:


3.1.1 Was sind Service Center der öffentlichen Verwaltung?

Informations- und Kommunikationstechnologien bestimmen immer mehr administrative, technische, organisatorische und soziale Prozesse der Arbeit. Ausdruck dieser Entwicklung sind auch die so genannten Call Center, die heute die von vielen Organisationen angestrebte Schnittstelle zum Kunden und seinen Informationsbedürfnissen darstellen. Mit Call-Center-Arbeitsplätzen wird nicht nur ein neues technisch-organisatorisches Konzept realisiert, das (multimediale) Informations- und Kommunikationsmedien miteinander verknüpft und bislang weitgehend getrennte Geschäftsprozesse unter Ausweitung der räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit konzentriert, sondern Call-Center-Strukturen entwickeln sich zusehends auch zu einer eigenen Branche, die Dienstleistungen für andere Unternehmen anbietet.

Eine Grundüberlegung besteht in der Frage, worin sich ein Service Center in der öffentlichen Verwaltung von einem Call Center in der gewerblichen Wirtschaft unterscheidet. Während in der notwendigen technischen und ergonomischen Ausgestaltung nur marginale oder sogar überhaupt keine Unterschiede vermutet werden, so bildet der Umfang denkbarer öffentlicher Dienstleistungen den größten Unterschied. Auch wenn einige öffentliche Dienstleistungen schon in der Vergangenheit privatisiert wurden, so wird eine Vielzahl von Aufgaben, sei es die Erstellung eines Personalausweises oder die Genehmigung eines Bauantrags, auch in Zukunft in öffentlicher Hand bleiben. Was zukünftig davon aber im Rahmen eines Service Centers bearbeitet werden kann, ist in manchen Fällen noch gar nicht absehbar.

Ein weiterer, großer Unterschied besteht in den Strukturen der öffentlichen Verwaltung. Die öffentliche Verwaltung steht - wie auch andere Betriebe - vor der Anforderung, ihre Aufgaben effektiv und effizient zu erfüllen. Daneben existieren aber eine Vielzahl von weiteren Anforderungen, wie die Beachtung von bestehenden, starren Regelungen des Dienstrechts, Beschränkungen durch technologische Vorgaben, politischen Vorgaben eines Stadt- oder Gemeinderates oder einer stärkeren Kontrolle der Planungen durch Medien oder die Öffentlichkeit.

Planungsprozesse in öffentlichen Verwaltungen laufen daher teilweise komplizierter und langwieriger ab und können auch nicht auf rein wirtschaftliche Betrachtungsweisen verkürzt werden. Die vielfältigen Anforderungen sowie die Vielzahl der möglichen Aufgaben beeinflussen die Gestaltung eines Service Centers. Es kann daher auch kein einzelnes Modell für ein idealtypisches Service Center in der öffentlichen Verwaltung geben. Erst die umfassende Planung und genaue Festlegung der beabsichtigten Dienstleistung kann die Basis für die Ausgestaltung eines Service Centers bilden. Das Gleiche gilt für eine beabsichtigte Reorganisation eines bestehenden Service Centers. Neben einer Analyse bestehender Defizite muss auch hier beachtet werden, welche u.U. veränderten Dienstleistungen für den Kunden in Zukunft angeboten werden sollen.

Durch diese Definition von möglichen Beratungsdienstleistungen wird auch schnell deutlich, dass die Beschränkung auf die Gestaltung eines reinen Call Centers den Anforderungen einer modernen öffentliche Verwaltung nicht gerecht wird. Ziel sollte daher die Schaffung eines umfassenden und höherwertigen Service Centers sein, das mehr bietet als Antworten auf einfache Standardfragen wie: ”Wo bekomme ich einen Reisepass?”. Die Planung und Ausgestaltung kann im Zusammenhang mit weiteren Verwaltungsreformprojekten der jeweiligen Institution verknüpft werden und somit als Basis zur grundlegenden Veränderung von Verwaltungsstrukturen im Hinblick auf Bürgerorientierung, Servicequalität und Effizienz dienen.

Ein sogenanntes Service Center hat eine über die reine Antwortfunktion hinausgehende Beratungsfunktion, wobei der einzelne Mitarbeiter die Kompetenz besitzt, qualifizierte Auskünfte zu geben als auch bestimmte Entscheidungen zu treffen bzw. vorzubereiten. Für das genannte Beispiel ”Reisepass” kann dies bedeuten, dass der Mitarbeiter unter Zuhilfenahme der Meldedaten ein Formular vorbereitet, dem Bürger erklärt, welche weiteren Schritte erforderlich sind und veranlasst, dass das vorbereitete Formular zu einem vereinbarten Zeitpunkt in der nächstgelegenen Verwaltungsstelle unterschrieben werden kann. Mit der Einführung der elektronischen Signatur kann dann auch dieser Vorgang über ein Kommunikationsmedium, z.B. ein öffentliches Terminal in einem Supermarkt, erledigt werden, ohne dass der Bürger auf einem Amt erscheinen muss.

Um diese Aufgaben in einem Service Center erfüllen zu können, muss der Mitarbeiter über eine entsprechende Qualifikation verfügen, er muss auf weitere Kompetenzen zugreifen können, entweder in Form von Datenbanken oder intelligenten, technischen Informationssystemen oder aber auch durch weitere kompetente Experten, die er bei speziellen fachlichen Fragestellungen einbeziehen kann.

Darüber hinaus sollte ein Service Center Beschäftigungsanreize aufgrund neuer, höherwertiger Anforderungen, Flexibilität und Selbständigkeit im Kundenkontakt bieten. Grundsätzlich sind Qualität und Geschwindigkeit für eine hohe Kundenzufriedenheit ausschlaggebend. Somit ist ein Service Center nicht nur über externe Standards definiert – Kompetenz und Qualität an der Schnittstelle zum Kunden – sondern auch über interne Standards, die eine Einbeziehung geltender Gestaltungsprinzipien aus der Arbeitswissenschaft und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes implizieren (vgl. dazu auch Kapitel 3.3 Einflussgrößen und Zielbereiche in einem ganzheitlichen Planungsprozess).

3.1.2 Welchen Nutzen haben Service Center?

Die gegenwärtige Situation in vielen öffentlichen Verwaltungen ist durch vielfältige Problemfelder in der Interaktion mit Bürgern gekennzeichnet. Hein, Nägele & Cott (2000) fassen derartige Problemfelder wie folgt zusammen:
Service Center stellen eine Möglichkeit dar - je nach Organisationslösung - einigen der genannten Problemfeldern effizient begegnen zu können. Ob sich die Einrichtung eines Service Centers rechnet, kann jedoch nicht so einfach bestimmt werden, da einige nicht objektivierbare Faktoren dazu herangezogen werden müssen. Grundsätzlich können die zahlenbasierten, wirtschaftlichen Gesichtspunkte besser kalkuliert werden, als damit verbundene immaterielle Nutzenerwägungen (wie beziffert man z.B. eine bessere Erreichbarkeit?). Daher sollten alle Interessenparteien (Politik, Verwaltung, Personalrat, Bürger) bei der Abschätzung der Nutzenaspekte frühzeitig beteiligt werden (vgl. dazu auch Kapitel 3.2.3 Phase 2: Zielfindung). So kann man der damit verbundenen Subjektivität umfassend gerecht werden.

Für Bürger sowie für Verwaltungen sind im Folgenden die von Hein, Nägele & Cott (2000) zusammengetragenen Nutzenerwartungen im Hinblick auf Service Center beispielhaft aufgeführt:

Nutzen für die Bürger

Weniger Aufwand bei der Abwicklung von Verwaltungsgeschäften
(Wege- und Wartezeiten entfallen ebenso wie das Ausfüllen von Fomularen. Probleme können sofort geklärt werden. Dadurch entfallen aufwendige Verfahren für die Korrektur von Fehlern, z.B. schriftliche Aufforderungen, bestimmte Informationen nachzureichen)

Längere Öffnungszeiten
(Durch Konzentration der telefonischen Kommunikation in wenigen Organisationseinheiten können flexiblere Arbeitszeitmodelle realisiert werden. Dadurch können längere Öffnungszeiten mit vertretbaren Aufwand umgesetzt werden.)

Schnellere Orientierung
(Das Service Center ist unmittelbarer Ansprechpartner. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Bürger mit den Interna der Verwaltungsorganisation auseinandersetzt.)

Qualifiziertere Weitervermittlung
(Der Bürger trifft unmittelbar auf einen kompetenten Ansprechpartner, der das Anliegen des Bürgers versteht und der ggf. zum zuständigen Sachbearbeiter weitervermittelt.)

Schnellere Bearbeitung
(Die Bearbeitung bestimmter Verwaltungsgeschäfte kann beschleunigt werden. Insbesondere bei den Modellen "Fachbereichs-Service-Center" und "Bürgerbüro-Service-Center" können bestimmte Teilprozesse vollständig im Service Center bearbeitet werden.)

Neue Dienstleistung
(Über das Service Center können neue Dienstleistungen entwickelt werden, z.B. der aktive Vertrieb kultureller Verwaltungen.)


Nutzen für die Verwaltung

Gewinnung von Arbeitszeit
(Viele Sachbearbeiter in der VErwaltung werden in großem Umfang durch Anrufe gestört. Das Entgegennehmen eines GEspräches, das Weiterverbinden sowie die damit verbundenen Rüstzeiten können sich schnell zu erheblichen Summen addieren.)

Bessere Arbeitsbedingungen
(Für Mitarbeiter, die im Rahmen der Sachbearbeitung schwierige Aufgaben lösen müssen, kann die häufige Störung durch Telefonate zu einer starken Beeinträchtigung der Arbeitsproduktivität und der -zufriedenheit führen. Außerdem können Unterbrechungen zu Fehlern führen.)

Entlastung qualifizierter Sachbesarbeiter und Führungskräfte von Routinearbeiten
(Wenn gewisse Routineaufgaben in ein Service Center delegiert werden können, kann die frei gewordene Zeit für die entsprechenden Kernaufgaben genutz werden.)

Weniger unzufriedene Bürger am Telefon
(Wenn die Qualität der Interaktion zwischen Bürger und Verwaltung verbessert werden kann, gibt es weniger Gründe für die Bürger, sich über schlechten Service zu beschweren.)

Weniger Aufwand
(Durch die Straffung von Geschäftsprozessen kann auch der Aufwand für die Bearbeitung z.T. reduziert werden. Unnötige Einarbeitungs- und Rüstzeiten entfallen ebenso wie der Aufwand für die interne Vermittlung von Gesprächen.)

3.1.3 Welche Service-Center-Formen gibt es für öffentliche Verwaltungen ?

Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über mögliche Formen von Service Centern gegeben, die öffentliche Verwaltungen betreiben können. Für Planungsüberlegungen ist hierbei relevant, mittels einer entsprechenden Projektorganisation (vgl. Kapitel 3.2.1 Überblick über Phasen und Projektorganisation), daraus folgend das für die jeweilige Verwaltung spezifische Ziel- und Anforderungsprofil (vgl. ab Kapitel 3.3.1 Welche Anforderungen gesellschaftspolitischer Art sind zu berücksichtigen?) vorher festzulegen. Anhand der erhaltenen Zielvorstellungen kann dann eine entsprechende Zuordnung zu den möglichen Formen von Service Centern vorgenommen werden. Schließlich sind die im Service Center hauptsächlich anfallenden Tätigkeiten und Aufgaben abzuleiten (vgl. Kapitel 3.4.2.2 Betrieb eines Service Centers), anhand derer in der Realisierungsphase eine optimale Arbeitsgestaltung vorgenommen werden kann (s. Kapitel 3.4 Wirtschaftlichkeitsaspekte im Service Center).

Welche Formen von Service Centern für die öffentliche Verwaltung sind nun in der Praxis anzutreffen bzw. theoretisch denkbar? In der Praxis finden sich gerade in der Pilotierungs- und Anlaufphase eine Reihe von Mischformen, da das erwartete Leistungsspektrum häufig im Zuge der laufenden Einrichtungsphase noch konkreter definiert werden kann. Als Unterscheidungsmerkmale von Service Centern in der öffentlichen Verwaltung können jedoch grundsätzlich die folgenden Typenbildungen herangezogen werden (in Anlehnung an Hein, Nägele & Cott, 2000; Beyer & Brandel, 2001):

Zentrales Service Center / erweiterte Telefonzentrale

Erweiterte Telefonzentrale, Funktion: Beantwortung einfacher Routieneanfragen, Weiterleitung an zuständige Sachbearbeiter

erforderlich: umfassende Kenntnisse über Arbeitsbereiche und Zuständigkeiten in der Behörde, Informationen über Abwesenheiten usw.)

Ziele: Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit, direkte Weiterleitung von Anrufern an zuständige Bearbeiter, Imageverbesserung, Reaktion auf Kundenkritik.

Viele Verwaltungen stehen vor dem Problem einer technisch und personell schlecht ausgestatteten Telefonzentrale, die ein steigendes Anrufaufkommen nicht mehr angemessen bewältigen kann und insbesondere zu Spitzenzeiten deutlich überlastet ist. Organisatorische Veränderungen und ein bei den Bürgern/Kunden gestiegenes Beratungsbedürfnis hat die Nachfrage nach telefonischen Auskünften, welche zunächst meistens in der Telefonzentrale auflaufen, ansteigen lassen. Zur Verbesserung der Situation bei der zentralen Telefonannahme haben sich einige Kommunen zur Einrichtung eines zentralen Service Centers entschlossen, welches als zentrale Anlaufstelle für telefonische Anfragen im Sinne einer erweiterten Telefonzentrale dienen soll. In erster Linie geht es darum, häufige Routineanfragen (nach Öffnungszeiten, Fristen o.ä.) unmittelbar zu beantworten und die Telefonvermittlung zu verbessern. Hierzu gehören vor allem Auskünfte über Zuständigkeiten, zu konkreten Erreichbarkeiten der verantwortlichen Sachbearbeiter und zu Vertretungsregelungen. Das zentrale Service Center greift damit die häufig im Telefonkontakt mit Bürgern bemängelten Defizite unzureichend klarer Auskünfte auf und den Vorwurf “dass in der Verwaltung eine Hand nicht weiß, was die andere tut”. Aus der Intention zur Verbesserung der Erreichbarkeit von Beschäftigten können weitere Organisationsentwicklungsmaßnahmen hergleitet werden, die das Ziel einer verbesserten Kundenorientierung weiter unterstützen können. Insofern stellt die Schaffung eines zentralen Service Centers einen erweiterungsfähigen Aspekt dar, der sowohl weitere organisatorische Umstrukturierungen mit sich bringen kann als auch in Bezug auf die telefonische Erreichbarkeit zu einer Ausweitung von telefonischen Beratungsdienstleistungen führen kann.

Fachbereichsbezogenes Service Center

Zentrale fachliche Anlaufstelle für alle Kunden des jeweiligen Bereichs (z.B. Wirtschaftsförderung, Bauamt), nimmt alle eingehenden Anrufe entgegen, Beantwortung aller regelmäßig auftretenden Fragen, Weiterleitung komplexer Anfragen an Experten;

erforderlich: breite Fachkenntnisse des Sachgebiets, Entscheidungsbefugnis in Routinefällen;

Ziel: Verbesserung der inhaltlichen Bearbeitung, gleichmäßige Auslastung, Trennung von Routinefällen und komplexen Vorgängen.

Zur Erteilung fachbezogener Auskünfte wird von einigen Kommunen die Einrichtung fachbereichsbezogener Service Center favorisiert. Diese können durchaus auch als Ergänzung einer zentralen Service-Center-Vermittlung dienen. Im Mittelpunkt der Überlegungen zur Einrichtung fachbereichsbezogener Service Center steht die Kanalisierung fachlicher Anfragen auf eine Bearbeitungsstelle, die von sonstigen Sachbearbeitertätigkeiten befreit ist. Damit wird eine Entlastung der bearbeitenden Stellen erreicht und gleichzeitig für den Kunden eine stets verfügbare Anlaufstelle für Auskünfte zu bestimmten Verfahren geschaffen.

In der Praxis zeigt sich im Überblick, dass die Einführung von bereichsbezogenen Service Centern Abgrenzungsprobleme zwischen zentral zu erbringenden Auskunftsleistungen und den den jeweiligen Fachbereichen vorbehaltenen Kompetenzen mit sich bringen kann. Die Auskünfte, die von einem bereichsbezogenen Service Center gegeben werden, beziehen sich entsprechend den Kundenwünschen oft auf Verfahrensstände und mögliche (Zwischen-) Zusagen zu weiteren Bearbeitungsdauern o.ä., welche dann im Sinne einer Zielvereinbarung eingehalten werden müssen. Insofern müssen bei der Einrichtung von fachbereichsbezogenen Service Centern auch die zugehörigen organisatorischen Abläufe unter kundenorientierten Abläufen mit betrachtet werden.

Bürgerbüro - Service Center

Zentrale Anlaufstelle für alle kundenbezogenen Routinekontakte, abschließende Bearbeitung des definierten Aufgabenspektrums, Weiterleitung anderer Anfragen an die zuständigen Sachbearbeiter;

erforderlich: Kombination der Anforderungen zentraler und fachbereichsbezogener Service Center, ggf. auch Beschwerdemanagement,

Ziel: Verbesserung der (telefonischen) Erreichbarkeit, gleichmäßige Auslastungen, Trennung von Routinefällen und komplexen Vorgängen, Imagepflege.

Seit einiger Zeit sind in mehreren Verwaltungen sogenannte Bürgerbüros in Betrieb, in denen der Verwaltungskunde mehrere Anliegen an einer zentralen Stelle (mit in der Regel auch erweiterten Öffnungszeiten) erledigen kann. Die bisherige ämterbezogene Trennung wird im Interesse einer Bündelung der Kundenkontaktfunktionen aufgehoben und in das Bürgerbüro integriert. Die Vorteile, die diese Organisationsform dem Kunden bietet, aber auch die erforderliche Anpassung der Organisationsabläufe in Front-Office und Back-Office-Funktionen sind in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur bereits intensiv reflektiert worden, so dass eine Reihe von Erfahrungen zum Einführungsprozess von Bürgerämtern dokumentiert vorliegen.

Da die wesentlichen Organisationsprinzipien bei der Einführung von Service Centern ähnlich sind, liegt es nahe, die vorliegenden Integrationserfahrungen von Bürgerbüros in den Verwaltungsablauf einzubeziehen. Umgekehrt gibt es auch aus der Verwaltung heraus die Überlegung, die in Bürgerbüros angebotenen Leistungen, die im Wesentlichen auf das persönliche Erscheinen der Kunden ausgerichtet sind, durch telefonisch erbrachte Beratungsleistungen zu ergänzen oder teilweise zu ersetzen. Das Bürgerbüro würde in diesem Fall die Funktion eines Service Centers mit übernehmen.

Die Verknüpfung zwischen Bürgerbüro und Service Center bringt zu den bereits genannten Abstimmungserfordernissen zwischen sachbearbeitenden und auskunftsgebenden Stellen die Aufgabe mit sich, eine organisatorisch sinnvolle Trennung zwischen Vor-Ort-Beratung und telefonischen Auskünften anzustreben. So können Beschäftigte des Bürgerbüros einerseits telefonische Beratungsfunktionen mit übernehmen, andererseits ist jedoch auch sicherzustellen, dass die Beschäftigten mit direktem persönlichen Kundenkontakt nicht gleichzeitig als telefonische Ansprechpartner zur Verfügung stehen können.

Das in einem Bürgerbüro integrierte Service Center bietet darüber hinaus die Möglichkeiten, nach verschiedenen geeigneten “Vertriebswegen” zu unterscheiden und das Leistungs- und Beratungsangebot auf den dafür am besten geeigneten Wegen anzubieten. Die Entscheidung über die Eignung telefonischer und persönlicher Beratungen kann in vielen Fällen ergänzt werden durch die Bereitstellung entsprechender Informationen bzw. Kontaktmöglichkeiten im Internet, so dass die Diskussion um die zukünftige Gestaltung von Beratungsleistungen und Erfahrungen mit deren Inanspruchnahme vermutlich gut an diesen Beispielen geführt werden kann.

Beschwerdetelefon

Zentrale Anlaufstelle für alle Beschwerden,Erfassung von Anlaß und Weiterleitung an die zuständigen Fachbereiche, Zielerreichungskontrolle;

erforderlich: Kenntnisse der Sachverhalte und Verantwortungsstrukturen, besonderes Verhandlungsgeschick, Einbindung in Qualitätssicherungsmaßnahmen,

Ziel: Imagepflege, Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen, Kundenzufriedenheit, Abstellen von Missständen.

Das in Form eines Service Center organisierte Beschwerdetelefon stellt zwar keine Beratungsfunktion im engeren Sinne dar, ist aber als zentrale telefonische Anlaufstelle für Beschwerden mit ähnlichen Organisationsmerkmalen hinsichtlich der Rückkopplung mit Fachdienststellen und der Gewährleistung einer Weiterbearbeitung verbunden. Beispiele hierfür weisen zugleich eine enge Verknüpfung mit der Umsetzung eines Qualitätsmanagements und kontinuierlicher Verbesserungsprozesse auf. Eine besondere Herausforderung liegt des weiteren in der häufiger als in anderen Service-Center-Typen auftretenden Bewältigung schwieriger Gesprächssituationen und der in einigen Beispielen realisierten Outbound-Funktion, bei der Kunden, die eine Beschwerde geäußert haben, nach einer festgelegten Zeit wieder telefonisch über den Stand der Bearbeitung informiert werden.

Im Gegensatz zu anderen Service-Center-Funktionen ist die Einrichtung eines Beschwerdetelefons in der Regel keine dauerhafte Alleinfunktion, sondern bietet vor dem Hintergrund einer angestrebten Minimierung kontinuierlicher Beschwerdegründe einen Anreiz für eine weitergehende Funktionsmischung des hierzu angebotenen telefonischen Dienstes.

Anlassbezogene Service Center

(Temporäre) Anlaufstellen für häufig auftretende Anfragen, Entlastung der Fachabteilungen, zentrale Erfassung von sensiblen Bereichen der Kundenzufriedenheit

erforderlich: Fachkenntnisse im jeweiligen Bereich zur Reaktion auf Routineanfragen, Erfassung und Kategoresierung von Anfragen, zumeist gebündelte Weiterleitung an Fachabteilungen

Ziel: Kundenzufriedenheit durch thematische Schwerpunktsetzung, Abstellen von Mißständen, Sammlung relevanter Informationen.

Um besonderen Informationsbedürfnissen Rechnung zu tragen, wird von der öffentlichen Verwaltung die Einrichtung anlassbezogener Service Center angestrebt. Diese geben beispielsweise fachliche Auskünfte zu Gesetzesneuregelungen oder zu Förderprogrammen bzw. sind als ständig erreichbarer Anschluss zur Meldung von Umweltvergehen o.ä. eingerichtet. Dabei ist die verwendete Technologie und Organisation solcher meist befristeter Beratungsdienste von der auf Dauer angelegter Dienste zu unterscheiden. Zum einen werden die anlassbezogenen Leistungen von dauerhaft existierenden Service Center (wie z.B. C@ll NRW) übernommen, indem zeitweise Auskünfte zu bestimmten Sachgebieten angeboten werden und entsprechendes Fachpersonal befristet hinzugezogen wird. Zum anderen sind die bei bestimmten Anlässen zu verwendenden Telefonnummern nicht unbedingt stets mit einem echten Service Center verbunden, sondern werden, je nach erwartetem Aufwand, auch im Rahmen normaler Telefonbearbeitungen durch Sachbearbeiter abgewickelt.

Als besonderes Merkmal derartiger Dienste ist die häufig schnell zu realisierende Einrichtungs- und Aufbauphase zu nennen. Während für die Errichtung eines zur dauerhaften Nutzung vorgesehenen Beratungsdienstes eine intensive Planungsphase mit einer wirkungsvollen Bedarfsabschätzung möglich ist, muss die Einrichtung anlassbezogener Service Center in der Regel sehr kurzfristig erfolgen, um den entstandenen Informationsbedarf decken zu können.

Neben den fünf aufgezeigten Service-Center-Formen, die sich jedoch i.d.R. empirisch in der Reinform selten finden lassen, besteht organisatorisch noch die Möglichkeit, Service Center im interkommunalen Verbund zu organisieren:

Interkommunales Service Center

Gerade für kleinere Kommunen dürfte der personelle, finanzielle und organisatorische Aufwand zur Einrichtung eines eigenen Service Centers unverhältnismäßig groß sein.

Daher besteht neben der Inhouse-Realisation des jeweiligen Service Centers einer öffentlichen Verwaltung insbesondere für kleinere Kommunen die Möglichkeit, ein Service Center gemeinsam im Verbund mit anderen Kommunen oder Organisationen zu betreiben.

Welche möglichen Betreibermodelle eines derartigen interkommunalen Service Centers sind sinnvoll? Eine hierzu von der Tellur GmbH, Stuttgart, durchgeführte Studie (Tellur, 2001) beschreibt verschiedene Betreiberformen und bewertet diese qualitativ:
Insgesamt kommt die Studie zum Schluss, dass der Betrieb in Form einer Public-Private-Partnership aufgrund der vielfältigen potenziellen Synergieeffekte am aussichtsreichsten erscheint. Die folgende Übersicht fasst die qualitativen Bewertungen zu der letztgenannten Betriebsform zusammen:

Bereich Qualität
Service-Center-Betreiber große Erfahrung
Dienstleistung große Erfahrung
Kommunales Know-how gute Erfahrung durch Einsatz von Mitarbeitern aus der Kommune
IT-Know-how große Erfahrung
Projektleitung große Erfahrung

Bei den Betriebsformen durch eine "Leitkommune" sowie durch ein "kommunales Rechenzentrum" wird in der Studie bemängelt, dass zum einen wenig Erfahrung in der Organisation von Dienstleistungs-Call-Centern besteht sowie eine geringe Ausprägung der Dienstleistungsorientierung zu erwarten ist. Der reine Betrieb durch einen externen Dienstleister wird als kritisch gesehen, da i.d.R. dort wenig kommunales Know-how vorhanden ist.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung eines solchen Modells ist die Berücksichtigung der jeweiligen Organisationskulturen und Strukturen (Ablauf- und Aufbauorganisation) der beteiligten Kommunalverwaltungen. Hierbei müssen zunächst in einer Machbarkeitsstudie Möglichkeiten und Grenzen einer gemeinsamen Dienstleistungsgestaltung ausgelotet und gemeinsame Standards definiert werden.

Kai Seiler, Rolf Brandel


Öffentliche Beratungsdienste
vom Call Center zur Service- und Informationsagentur