1.3 Arbeitsgestaltung

Die Umsetzung eines solchen Leitbildes erfolgt über systematische Arbeitsgestaltung. Für diese Arbeitsgestaltung gibt es gute Gründe:
Bei der Arbeitsgestaltung legen wir Kriterien und Merkmale einer menschengerechten Arbeitsorganisation aus der Arbeitswissenschaft (Tabelle 1-2) zugrunde. Ziel ist eine persönlichkeits- und gesundheitsfördernde Arbeit. Angemessen gestaltete Arbeitsaufgaben sollen:
Für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung sind grundsätzlich folgende arbeitsorganisatorische Modelle zu unterscheiden.
  1. Job Enlargement:
    Durch die (horizontale) Aufgabenerweiterung, z.B. Hinzunahme von Dokumentationstätigkeiten, Fax-, E-Mail- und SMS-Bearbeitung, Vorbereitung von Kampagnen oder Telefonprogrammierung sind für die Mitarbeiter Belastungswechsel und Qualifizierungen, für die Betriebe gleichmäßigere Kapazitätsauslastungen möglich.
  2. Job Enrichment:
    Bei der (vertikalen) Aufgabenanreicherung werden planende, steuernde und kontrollierende Tätigkeiten wie Erstellung und Verbesserung von Gesprächsleitfäden, Auswertung von Statistiken, technischer Support, Personaleinsatz oder Coaching neuer Mitarbeiter in die Arbeitsaufgabe integriert. Handlungsspielräume der Agenten werden dadurch erhöht und Reibungsverluste abgebaut.
  3. Job Rotation:
    Durch den zeitlich befristeten Wechsel in andere Tätigkeitsfelder (z.B. zwischen Inbound und Outbound, ins Back-Office, in Trainingsaufgaben) ergeben sich Chancen zur Personalentwicklung, Qualifizierung und zur Verbesserung der Kommunikationskompetenz der einzelnen Mitarbeiter.
  4. (zeitlich befristete) Projektteams:
    Eine bereichsübergreifende Gruppe mit unterschiedlichen Qualifikationen löst durch selbstorganisierte Zusammenarbeit eine zeitlich befristete gemeinsame Aufgabe, wie Implementierung neuer Technologien, Qualitätszirkel, Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen ab.
  5. Teilautonome Gruppen:
    Eine Gruppe von Agenten erhalten eine dauerhafte gemeinsame Aufgabe, deren Planung, Umsetzung und Kontrolle sie selbst steuern.
Tabelle 1-2: Merkmale guter und schlechter Gestaltung

Merkmale guter Gestaltung Merkmale schlechter Gestaltung
Kriterium:
Handlungsspielraum/Autonomie
Handlungsspielraum/Autonomie
  • Umfangreiche Aufgaben
  • Bearbeitung muss erst geplant werden
  • Aufgabe bietet Gelegenheit zur Anwendung aller Kenntnisse und Fähigkeiten
  • Angemessene Arbeitsmenge
  • grobe zeitliche Orientierung
  • jeder einzelne Arbeitsschritt ist festgelegt, wie er bearbeitet werden muss
  • kein Ermessensspielraum
  • zu große Arbeitsmenge, kurze Fristen
  • Überstunden, Zeitdruck, Pausen durcharbeiten
  • gezwungen sein Gespräche anzunehmen
Kriterium:
Anforderungsvielfalt
Anforderungsvielfalt
  • Häufig wechselnde, unterschiedliche Aufgaben
  • Unterschiedliche Anforderungen an Körperfunktionen und Sinne
  • gleichförmige, immer wieder kehrende Aufgaben
  • kurze Taktzeiten
Kriterium:
Ganzheitlichkeit
Ganzheitlichkeit
  • ganzheitliche Arbeitseinheiten
  • Aufgabe enthält kontrollierende, planende und ausführende Elemente
  • es werden nur Bruchstücke eines Vorgangs bearbeitet
Kriterium:
Kommunikation und Kooperation
Kommunikation und Kooperation
  • Arbeit erfordert enge Zusammenarbeit mit anderen Stellen, in der Gruppe
  • Information und Mitsprache
  • Beteiligungsmöglichkeiten
  • Soziale Rückendeckung von Vorgesetzten und Kollegen
  • isolierte Einzelarbeit ohne Gelegenheit zu sozialem Kontakt
  • routinemäßige Weiterleitung von Aufträgen
Kriterium:
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten
  • Die Aufgaben stellen Anforderungen an den Qualifikationserwerb
  • Bereitstellung betrieblicher Weiterbildungsmöglichkeiten
  • routinemäßige Weiterleitung von Aufträgen
  • keine Rückmeldung über Arbeitsvorgang
  • keine Einarbeitungs- und Aufstiegsmöglichkeiten

Alle aufgeführten Gestaltungsansätze vergrößern die Handlungs- und Entscheidungskompetenzen für die Beschäftigten. Während die Gestaltungsmaßnahmen a.) bis c.) auf der Ebene von Einzelarbeitsplätzen durch hinzukommende Arbeitsaufgaben realisiert werden können, verlangt die teilautonome Gruppenarbeit eine Reorganisation der bestehenden Arbeitsorganisation, d.h. eine Anpassung der betrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation. Umgekehrt sind in der Form der Gruppenarbeit auch die Einzelmaßnahmen a) bis c) mit enthalten. Wenn im Folgenden das Leitbild der teilautonomen Gruppe dargestellt wird, erschließen sich die anderen Gestaltungsmaßnahmen auch als Teilschritte hin zu diesem weitest gehenden Gestaltungsziel. Unter teilautonomen Gruppen mit umfassenden Kompetenzen für Planung, Ausführung und Kontrolle in ihrem Arbeitsbereich sollen feste, als institutionelle Einheiten im Rahmen der Arbeitsorganisation verankerte Teams mit dauerhafter, partizipativer und weitgehend selbstständiger Bearbeitung einer Aufgabe verstanden werden. Entscheidend ist das qualitative Moment der (Teil-)Autonomie mit – je nach Ausprägungsgrad – selbstständiger Arbeitsplanung, -erledigung und -kontrolle. In Abgrenzung von einer Mogelpackung, bei der nur Beschäftigte räumlich zusammengesetzt werden, legen wir für Gruppenarbeit im Service Center folgende Kennzeichen zugrunde:
Um teilautonome Gruppen zu entwickeln, sind verschiedene Wege und Einzelmaßnahmen möglich:
Die oben dargestellten Merkmale können eine Hilfe zur Systematisierung und praktischen Umsetzung eines arbeitnehmerorientierten Leitbildes sein. Dabei werden die Gestaltungsspielräume erheblich von den Rahmenbedingungen beeinflusst. Für die Beschäftigten spielt die Gestaltung der Arbeitsorganisation sicherlich erst dann eine Rolle, wenn grundlegende Fragen wie gesicherte Arbeitsverhältnisse, dauerhafte Beschäftigung und angemessene Entlohnung geregelt sind.

Klaus Heß


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