1.1 Warum ein Leitbild

In der Privatwirtschaft haben Call Center seit zehn Jahren einen regelrechten Boom erfahren. Zum einen strukturieren existierende Betriebe ihre Vertriebswege neu, sie reorganisieren ihre Schnittstelle zu den Kunden mit Hilfe neuartiger technisch organisatorischer Systeme und integrieren dabei Aufgaben der Telefonzentrale mit denen der Sachbearbeitung in einer eigenen Call-bzw. Service-Center-Abteilung. Andere Betriebsneugründungen bieten Call-Center-Dienstleistungen auf dem freien Markt an, ohne Festlegung auf eine bestimmte Branche. In beiden Fällen tritt die spezifische Dienstleistung, die ja bisher in Form qualifizierter Sachbearbeitung z.B. für Versicherungs- oder Bankaktivitäten, für den Vertrieb eines Handelsunternehmens oder für die Betreuung von Telekommunikationskunden erbracht wurde, in den Hintergrund. Im Zentrum stehen statt dessen standardisierte Tätigkeiten, welche mit angelernten Arbeitskräften erbracht werden können. Die Kosten pro Anruf spielen die entscheidende Rolle, die Steigerung der Gesprächsleistung ist das entscheidende Führungsziel. Um das schlechte Image der Branche, die hohe Fluktuation der Call-Center-Betriebe und die schlechte Dienstleistungsqualität entscheidend zu verbessern und eine langfristige Stabilisierung sicherzustellen, braucht es neue Leitbilder, die eine wirkliche Kunden- und Qualitätsorientierung, qualifizierte und motivierte Beschäftigte sowie eine beteiligungsorientierte Organisationsentwicklung zugrunde legen.

Ein Leitbild für innovative Informations- und Beratungsdienste der öffentlichen Hand zu entwickeln ist deshalb dringend erforderlich: so können die Fehler der gewerblichen Wirtschaft vermieden werden. Diese Fehler müssen heute nachträglich unter hohem Engagement der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen entweder in defensiver Form (z.B. für feste Arbeitsplätze, bessere Löhne, geregelte Arbeitszeiten, Gesundheitsschutz) oder in offensiver Form (z.B. in „teilautonomen Gruppen“ als Ziel der humanen Arbeitsgestaltung) beseitigt werden. Dieses Leitbild ist auch erforderlich, um die wechselseitigen Hemmnisse und Blockaden zu überwinden, die vielerorts noch in öffentlichen Betrieben notwendige Veränderungsprozesse behindern. Reorganisation ist zugleich notwendig und möglich:
  1. Der öffentliche Dienst hat keine Alternative zur Veränderung. Reorganisation steht im Dreieck der Interessen von Bürgern, Behörde und Beschäftigten. Während die Behörde Effizienz- und Effektivitätsziele verfolgt, liegen die Interessen der Beschäftigten in sicheren Arbeitsplätzen und qualitativer und gesunder Arbeit. Demgegenüber stellen die externen Kunden, die Bürger und die Politik, neue und zusätzliche Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung und die Kostensenkung. Unter dem anhaltenden Kostendruck des gesamten öffentlichen Dienstes können Veränderungen nur im Rahmen der gegebenen Ressourcen stattfinden, zusätzliche Organisationseinheiten sind nicht finanzierbar.
  2. Hemmnisse und Blockaden können überwunden werden, wenn Leitbilder gemeinsam entwickelt werden und wenn sie in integrierter Form alle Zielperspektiven beinhalten. Das Leitbild sollte wirtschaftliche Aspekte mit einer qualitativ guten Dienstleistung und gesunden Arbeitsplätzen vereinigen:
Dabei gilt es,
  1. Interessen von Kunden nach guter Leistung und von Beschäftigten an einer qualitativ guten Arbeit durch die Zielperspektive Qualifizierung und Beteiligung an der Arbeitsgestaltung auszudrücken, ohne dass die Wirtschaftlichkeit des Betriebes beeinträchtigt wird,
  2. Interessen der Bürger als Steuerzahler und des Betriebes an einer wirtschaftlichen Leistungserbringung in der Zielperspektive der Effektivität und Effizienz so unter Deckung zu bringen, dass es nicht zu einem erhöhten Leistungsdruck für die Belegschaft führt, und
  3. Interessen der Behörde und der Beschäftigten am Erhalt und Ausbau des öffentlichen Dienstes in einer Form zu organisieren, die auch noch gesellschaftlich getragen wird.
Öffentliche Beratungsdienste
vom Call Center zur Service- und Informationsagentur